Meldung vom 24.08.2015 Wer mit Menschen arbeitet, bekommt die kuriosesten Dinge mit. Auch die Disponenten der ILS Nordoberpfalz wissen: Jeder Notruf ist eine Überraschung.
Jeder Notruf, der bei der Integrierten Leitstelle Nordoberpfalz (ILS) eingeht, steckt voller Überraschungen. Wie dieser: Als der Disponent das Gespräch annimmt, hört er Schüsse. Auf sein Rufen reagiert niemand. Plötzlich piept es. Immer wieder – und dem Disponenten dämmert es: Da will jemand das TV-Programm wechseln und drückt die Knöpfe des Telefons. Und nicht die der Fernbedienung. „Niemals habe ich die 112 gewählt“, beteuert die Seniorin wenig später, als die Sanitäter vor ihrer Tür stehen, um vorsichtshalber nach ihr zu sehen. Im Fernsehen läuft ein Western.
Die besten Räuberpistolen aber schreibt der Alltag, weiß Jürgen Meyer und berichtet darüber in unserer Sommer-Serie. Der 40-Jährige ist der stellvertretende Leiter der ILS und sagt: „Also gleich mal vorweg: Wir danken für jeden Anruf.“ 140 bis 150 Einsatzgeschehen sind täglich die Folge. Insgesamt 54 Mitarbeiter in der Geschäftsstelle in der Ulrich-Schönberger-Straße koordinieren sie in Weiden und den Landkreisen Neustadt und Tirschenreuth. Seit nunmehr 20 Jahren arbeitet Meyer in der Einsatzzentrale: „Da erlebst was.“
Etwa vergangene Woche: Eine Frau wählt die Notrufnummer. Ihr Problem? „Sie steht gerade nackig in der Küche und kocht. Ihr Freund hat sie verlassen und sie ist unbefriedigt. Sie meint, sie braucht Hilfe.“ Dem Otto-Normal-Zuhörer steigt Schamesröte ins Gesicht. Der Disponent dagegen klärt sachlich ab, ob tatsächlich eine Notsituation – oder ein Fall für eine Strafanzeige wegen des Missbrauchs einer Notrufnummer vorliegt. „Wir verfolgen solche Anrufe schon“, erklärt Meyer. Die Aufzeichnung des Gesprächs hat die Leitstelle ja. Die Daten auch.
Egal ob die Nummer unterdrückt wird oder es sich um eine Geheimnummer handelt: „Wir sehen alle Nummern und den Ort, von wo der Anruf kommt.“ Die nackte Frau kocht demnach in der Küche in Kemnath. Zeigt sie keine Einsicht, bekommt sie eine Strafanzeige, muss Ordnungsgeld zahlen.
Hilfe, mein Mann schnarcht
Ein Mann kennt das Prozedere nur zu gut. Er ruft 38 bis 72 Mal täglich die 112 an. „Seine Nummer können wir trotzdem nicht sperren. Du kannst ja nicht sagen, Josef oder Uschi können ab sofort keinen Notruf mehr absetzen.“ Und es gibt weitere Daueranrufer: Die Frau etwa, die sich immer wieder über das Schnarchen des Ehemanns beschwert. Der Disponent schickt sie zum Schlafen ins Kinderzimmer des Sohnes. „Das ist frei, weil der Junior in Regensburg studiert.“ Woher der Disponent das weiß? „Man kennt sich mit der Zeit.“
Routine bestimmt in der Regel aber nicht das Berufsbild eines Disponenten. Im Gegenteil. „In der Sekunde, in der du den Hörer abnimmst, wirst du völlig unvorbereitet irgendwo hineinkatapultiert.“ Kürzlich leitete ein Mitarbeiter Meyers eine Frau telefonisch an, ihren kollabierten Mann wiederzubeleben. Sie rief immer wieder den Namen ihres Liebsten. Im Hintergrund schrie ein kleines Mädchen „Papa, Papa“. „Das nimmt dich mit“, weiß Meyer. Denn es entstehen Bilder im Kopf. Oft sind das sehr ernste, unschöne Bilder. Manchmal spielt sich aber auch eine Komödie vor den Augen der Disponenten ab. Zum Beispiel bei den sogenannten „Hosentaschen-Anrufen“. 37 davon gibt es im Schnitt täglich. „Da hat jemand sein Mobiltelefon in der Hosentasche, kommt versehentlich auf die falschen Tasten und wählt die 112. Schon hörst du die kuriosesten Sachen“, erklärt Meyer.
Bei Anruf Kopfkino
Der Klassiker sei etwa die Mutter, die dem Sprössling im Auto auf dem Weg zur Schule nochmal deutliche Ansagen macht: Brotzeit aufessen, Jacke nicht vergessen, im Unterricht aufpassen. Oder das Kreischen der Säge des Forstarbeiters ertönt. Oder es ist schlicht lautes Schnaufen zu hören: „Zwischen Mai und Oktober häufen sich diese Anrufe, die meist aus dem Auto irgendwo im Wald abgesetzt werden.“ Der Disponent sieht zwar die „beliebte Stelle“, muss aber klären, inwiefern es sich nicht doch um einen Notfall handelt. Also ruft er: „Hallo, hallo“ ins Telefon. „Wenn sich dann jemand meldet, lässt sich das schnell klären, wir verabschieden uns und wünschen weiter viel Spaß.“
Die Anekdoten aus dem Berufsalltag braucht es, weiß Meyer. Die Mitarbeiter in der Einsatzzentrale erzählen sie sich, um einen Ausgleich zu all den schlimmen Vorfällen zu haben, die in der Leitstelle aufschlagen. Eine beliebte vom Dezember kennt Meyer jetzt schon im August: „Schneider hier“, wird dann wieder irgendeine Frau ganz resolut in den Hörer sagen, eine Nummer nennen und bestellen wollen. Allerdings brauchen die Frauen dann keinen Notarzt. „Sie wollen Witt-Wäsche bestellen“, erklärt Meyer. „Das geht schon seit Jahren so. Keine Ahnung, wie die ausgerechnet bei uns landen.“ Naja: Jeder Notruf ist eben eine Überraschung.
Quelle: Simone Baumgärtner (DNT)